„Auf der Bühne bin ich wer!“

Seemann, Knecht, Theaterchef –
Norbert Tank lebt für das niederdeutsche Theater

Wie ein Raubtierdompteur steht der Mann da. Mit höchster Anspannung und halb zusammengekniffenen Augen achtet Norbert Tank, Chef der niederdeutschen Laienspielgruppe "Tanks Theater Norderstedt" vom Bühnenrand aus auf jede Bewegung, jedes Wort "seiner" Schauspieler. Hier, in der zur Übungsbühne umgebauten alten Bauernscheune in Glashütte, probt das Ensemble das neue Stück aus der Feder von Norbert Tank "De lüttje Ünnerscheed", das am 6. März Premiere hat.
"Haltstopstopstopstop!" Energisch springt der drahtige Tank zwischen die Akteure. "Das muss viel süffisanter rüberkommen – guck´, so…" "Ich kann jedem Schauspieler seine Rolle vorspielen", sagt Tank und lässt keinen Zweifel daran, wer hier das Sagen hat. "In manchen Stücken lasse ich zwar jemand anders Regie führen – aber notfalls hab´ ich immer noch die Oberregie…", grinst er. In der Satzung von Tanks Theaterverein ist fest geschrieben, dass im vierköpfigen Vorstand bei Pattsituationen seine Stimme doppelt zählt. Die rund 30 Mitglieder seines Ensembles halten ihm dennoch eisern die Treue. Sie wissen ganz genau, was sie an ihrem "Norbi" haben: Er ist der rastlose Motor - Vereinsboss, Regisseur, Autor, Schauspieler. Dafür opfert er sich auf, denn: "Im Job bin ich einer unter vielen, eine Nummer. Aber auf der Bühne, da bin ich wer. Das brauche ich für mein Ich!"
24 Jahre war Norbert Tank im Norderstedter Amateurtheater aktiv. Als der dortige Vorstand sein erstes selbst geschriebenes Stück ablehnte, gründete er im Dezember 1993 kurzerhand sein eigenes Theater. Der Erfolg gibt ihm recht: Zu seinen Inszenierungen reisen mittlerweile sogar Zuschauer aus Stade, Kiel, Heide oder Neumünster an, Kartenbestellung drei Monate im Voraus dringend empfohlen. Als Autor hat er sich einen Namen gemacht: Seine niederdeutschen Stücke werden von Bühnen in ganz Norddeutschland gespielt, ins Hochdeutsche, sogar ins Holländische übersetzt. Vor allem aber liebt ihn das Publikum: als schlitzohrigen Knecht, als derben Seemann, als versoffenen Penner. Der urige Hallodri mit dem unnachahmlichen zerknautschten Gesichtsausdruck und der hintersinnigen Bauernschläue. Das sind die Rollen, die sich der Erzkomödiant auf den Leib schreibt. "Da muss ich mich wenigstens nicht groß verstellen", schmunzelt der bald 59-jährige Tank selbstironisch. Einer wie er könnte auch im Ohnsorg-Theater spielen. Dort hatte er einst vorgesprochen. "Die hätten mich auch sofort genommen", erzählt er stolz. Den sicheren Job bei der Stadt Norderstedt gegen die von Ohnsorg angebotene Gage auf Provisionsbasis zu tauschen, erschien ihm jedoch zu unsicher: "Schließlich hatte ich eine Familie zu versorgen!" Er bedauert es heute nicht mehr.
Der unvergessene Ohnsorg-Star Henry Vahl ist sein großes Vorbild. "Ich versuche allerdings nicht, ihn zu kopieren", schränkt Tank ein. Was er mit Henry Vahl gemeinsam hat, ist seine Lust am Improvisieren, die seine Mitspieler manchmal schier zur Verzweiflung treibt. "Das steht so aber nicht im Text, Norbi!" beschwert sich eine Mitspielerin bei der Probe. "Dann schreib´ das rein, Renate!", weist er die Souffleuse an. "Den letzten Schliff kriegen meine Stücke meist erst während der Premiere – oder noch später", gesteht er. Beim aktuellen Stück probte das Ensemble schon den zweiten Akt, während Norbert Tank noch beim Angeln an der Ostsee über dem Schluss brütete.
Längst schon sitzt er an seinem nächsten Stück und schreibt "nebenbei" an einem Buch mit plattdeutschen Geschichten. Um Ideen ist Norbert Tank nie verlegen: "Alles was ich höre und erlebe, sauge ich so richtig in mich auf und verarbeite es in meinen Stücken". Und erlebt hat er, der sich heute "auf der Sonnenseite des Lebens" sieht, wahrlich viel: Als zweitjüngstes von neun Geschwistern wuchs Norbert Tank in ärmlichsten Verhältnissen auf. Mit 15 Jahren riss er von zu Hause aus und heuerte als Küchenjunge auf einem Überseedampfer an. Neun Jahre lang war er auf großer Fahrt. Südamerika. Freiheit. Abenteuer. Sprang in der chilenischen Hafenstadt Valparaiso nur mit einer Unterhose bekleidet aus dem Schlafzimmerfenster einer Schönen im ersten Stock und brach sich beide Füße, weil Vater und Bruder des Mädchens ihm ans Leder wollten. Fuhr mit seinem schwer verletzten Bruder in einem zwölfstündigen "Höllenritt" 500 Kilometer auf halsbrecherischen Pisten quer durch die Anden zum Krankenhaus. Schmuggelte Zigaretten, Schnaps, Parfüm.
Norbert Tanks Job als Betriebshandwerker bei der Stadt Norderstedt, den er seit über 30 Jahren ausübt, ist zwar weniger abenteuerlich, doch alles andere als langweilig: In der Norderstedter Festhalle war er "Mädchen für alles", lernte dabei viele Showgrößen persönlich kennen: Volker Lechtenbrink, Inge Meysel, Pierre Brice, Beppo Brem ("Der war kernig!")… Anekdoten über Anekdoten.
Mit Grit Boettcher war er sogar auf Tournee, weil "die gerade einen Beleuchter brauchte". Sein Chef stellte ihn frei. "Die Grit war ´ne ganz Liebe", erinnert er sich, aber der berühmten Schauspielerin Sabine Sinjen knallte er einst die Koffer vor die Füße, weil Norbert Tank sich als Gepäckträger missbraucht fühlte. Nicht mit ihm!
Wer aber wirklich seine Hilfe braucht, kann auf ihn zählen: Im Urlaub auf Kuba freundete er sich mit einer einheimischen Familie an und fand, dass da mal tapeziert werden müsste. Tapeten gab es dort aber nicht zu kaufen. Also packte Norbert Tank beim nächsten Urlaub Tapeten, Kleister und Rolle ins Gepäck und tapezierte unentgeltlich das Heim der überglücklichen Kubaner. Und sein Ensemble lässt er schon gar nicht im Stich: Als ein langjähriger Mitspieler verstarb, gab Tank mit seiner Truppe eine Benefizvorstellung für die Witwe. Der Festsaal war rappelvoll wie bei jeder Vorstellung. Dafür gibt er alles, dafür verlangt er aber auch von seinen Leuten alles: "Haltstopstopstop! - So Gerti, komm´ - noch mal das Ganze!…. Mmh. Mmh. Gut." Der Meister ist zufrieden.

© Dr. Uwe Westphal 2003

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