Flummi-Manie

Gabi Schewe sammelt seit ihrer Kindheit Springbälle. Und wehe, es fehlt mal einer…

„Kind, was willst du denn mit den ganzen Dingern?“ Noch heute schüttelt Mutter Schewe den Kopf über das skurrile Hobby ihrer Tochter Gabi. Doch die lässt sich den Spaß daran nicht vermiesen. Gabi Schewe (41) sammelt Flummis. Das sind die kleinen bunten Springbälle aus Gummi, die jedes Kind kennt und die, wie sie sagt, „aufditschen bis paar Mal an die Decke.“ Zum Beweis lässt die biologisch-technische Assistentin im Nu ein paar Flummis in verschiedenen Größen und Farben durch das Wohnzimmer ihrer geräumigen Wohnung im Hamburger Stadtteil Groß-Flottbek springen.

Exakt 569 Flummis hat Gabi Schewe bislang in ihrer Kollektion, darunter sehr ausgefallene Stücke. Stolz zeigt sie ihre Schätze: Da gibt es fluoreszierende Flummis, vieleckige und eiförmige, solche im Tiger-, Zebra- und Giraffenlook, so genannte Sportflummis, die wie Golf-, Tennis- oder Basketbälle aussehen, oder auch springendes Obst und Gemüse. "Die brauche ich dann natürlich immer als vollständiges Set", betont die Flummisammlerin. "Oder gucken Sie mal den hier", grinst sie und wirft einen fast durchsichtigen Flummiball mit merkwürdigem Innenleben kräftig auf den Parkettfußboden. Der Ball springt wild durchs Zimmer und erzeugt dabei irre Licht- und Klangeffekte. Gabi freut sich wie ein Kind. "Da muss man vorsichtig mit umgehen", verrät sie. "Die halten nur maximal 8.000 Sprünge aus."
Bereits im Grundschulalter begann sie, die bunten Flummis zu sammeln. Ihre drei Geschwister wussten genau, dass mit der kleinen Gabi nicht zu spaßen war, wenn sie sich unerlaubt daran vergriffen. Schon als Mädchen hatte sie für jeden neuen Flummi auf einem gesonderten Blatt Papier in fein säuberlicher Handschrift Größe und Farbe notiert und das Ganze entsprechend geordnet. Dieses Archiv aus vergangenen Kindertagen hütet sie auch heute noch sorgsam. Selbst ihre Freundin Margret, mit der die ledige Gabi Schewe sich die Wohnung teilt, gab angesichts dieses Dokuments ernst zu nehmender Sammelleidenschaft ihren anfänglichen Widerstand gegen die Allgegenwart der bunten Springbälle auf.
Heutzutage erfolgt die Flummiverwaltung zeitgemäß per PC. In einer peniblen Bestandsübersicht, die stets aktuell gehalten wird, sind Art und Anzahl der verschiedenen Flummis aufgelistet. Dort ist auch verzeichnet, wo die einzelnen Flummis zu finden sind. Zum Beispiel die sieben "Minis bunt" in der "kleinen runden Glasschale auf CD-Regal". Ausgeschlossen, dass etwa ein Weihnachts- oder Osterflummi, der in die weiße Pappschachtel gehört, versehentlich in die grüne Blechdose gerät, die das Heim der ´crazy balls` ist.
Eine besondere Herausforderung ist es für Gabi Schewe, wenn Kinder zu Besuch kommen und die Flummis entdecken. Aber für solche Notfälle hat sie ja noch die 395 "gewöhnlicheren" Flummis, die in zwei Körben und einem großen Glasbehälter untergebracht sind. Ist der Besuch wieder weg, wird nachgezählt. Und wenn ein Flummi fehlt? "Dann robbe ich auf allen Vieren durchs Zimmer und suche so lange, bis ich ihn gefunden habe", gesteht Gabi Schewe.
Doch in seltenen Fällen will es das Schicksal, dass doch mal einer der bunten Springbälle verloren geht. So wie damals, als sie vom Garten aus ihrer Freundin einen Flummi ins offene Fenster werfen wollte, aber nur die Hauswand traf. Der Ball prallte unglücklich ab und ward nie mehr gesehen. "Wochenlang haben wir damals alle umliegenden Gärten abgesucht. Das war schon ein bisschen krank", gibt sie zu. Knapp 30 Jahre ist das jetzt her, doch verschmerzt hat sie diesen Verlust offenbar bis heute nicht. Unvergessen auch die Sache mit dem brennenden Scheibenwischermotor ihrer ´Ente`. Als Ursache stellte sich in der Autowerkstatt – unglaublich, aber wahr – ein verirrter Flummi heraus. "Den hat der Mechaniker behalten", grollt sie.
Und einen ihrer geliebten Flummis musste einst ein Klempner in einer Notoperation aus dem Klo befreien. Doch diese kleine Macke gönnt sich Gabi Schewe, auch wenn ihre Mutter ihr mit sorgenvoller Miene prophezeite: "Wenn du mal stirbst, werfen sie dir keine Erde ins Grab, sondern Flummis."

Dr. Uwe Westphal, Magazinbeilage "Sprünge" in der Süddeutschen Zeitung, Region Nord, vom 21.6.2003

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