Forscher entschlüsseln den Vogelflug

Elegant gleitet die Möwe im Wind und nutzt jede Luftströmung, sicher manövriert die Eule zwischen Hindernissen hindurch – der Flug der Vögel fasziniert die Menschen seit Urzeiten. Und obwohl Flugzeug und Hubschrauber mittlerweile alltäglich sind und Astronauten sogar den Weltraum erobern, ist das Flugvermögen der natürlichen Vorbilder noch zu großen Teilen unerforscht. Speziell die Bewegungen beim Flügelschlag und die Strömungsverhältnisse um den Flügel geben der Wissenschaft immer noch große Rätsel auf. Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehen dieser Frage gemeinsam mit Kollegen der Technischen Hochschule Aachen und der Bundeswehr-Universität in München jetzt auf den Grund. Hauptakteurinnen in diesem Projekt sind die Schleiereulen „Happy“ und „Tesla“: Während die Eulen einzeln in einem geschlossenen Raum auf einer sieben Meter langen Strecke vom Start zum Zielpunkt fliegen, an dem ein Leckerbissen wartet, fotografieren die Forscher ihre Flügel, um herauszufinden, wie die Vögel während des Fluges ihre Schwingen verformen. Dazu projiziert Projektleiter Thomas Wolf vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik ein Muster auf den Ober- und Unterflügel der Eule und registriert dieses mit modernster Videotechnik. Acht mobile Kameras sind dazu im Einsatz, die wie die Projektoren dem fliegenden Vogel in Fluggeschwindigkeit folgen. Später am Computer können Wolf und seine Kollegen verschiedene Bildpunkte mit einer Genauigkeit von einem halben Millimeter zuordnen, daraus die jeweilige Form der Flügeloberfläche berechnen und so die Bewegungsabläufe rekonstruieren. So lassen sich Rückschlüsse auf die jeweiligen Strömungsverhältnisse um den Flügel ziehen. Die Ergebnisse sollen nicht nur helfen, den Vogelflug zu entschlüsseln, sondern auch in die Konstruktion von „Drohnen“, kleiner unbemannter Flugobjekte, einfließen.

Andere Wissenschaftler scheinen da schon weiter zu sein: Ein Expertenteam des auf Automatisierungslösungen spezialisierten Unternehmens Festo aus dem süddeutschen Esslingen präsentierte kürzlich eine Weltneuheit: den „SmartBird“, den ersten technischen Flugapparat der Welt, der ohne zusätzlichen Antrieb nur durch Flügelschlag starten, fliegen und landen kann. Das Geheimnis des einer Silbermöwe nachempfundenen Kunstvogels ist die Beweglichkeit seiner Flügelkomponenten, die durch aktive Torsion (Verdrehung) von Hand- und Armschwingen sowohl Auftrieb als auch Vortrieb erzeugt. Eine ausgeklügelte Mess- und Regelungstechnik und die Beweglichkeit von Kopf und Rumpf sorgen für eine optimale Anpassung an die jeweils herrschenden Luftströmungen. Auf diese Weise erreicht der Flugroboter nicht nur eine geradezu unheimlich anmutende Eleganz und Manövrierfähigkeit, sondern auch einen aerodynamischen Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent - ein Wert, der dem eines realen Vogels nahe kommt. Bei einem Leichtgewicht von nur 485 Gramm und einer Spannweite von zwei Metern benötigt SmartBird nur 23 Watt Leistung. Ferngesteuert hat die Kunstmöwe inzwischen auch an der stürmischen Ostseeküste unter echten Artgenossen ihr fliegerisches Talent eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Diese technische Meisterleistung beeindruckt auch Thomas Wolf – dennoch: „Ein richtiger Vogel bewegt sich noch ganz anders“, weiß er aus der Auswertung seiner Messreihen am lebenden Objekt. Selbst auf der kurzen Flugstrecke entdeckte er bei seinen Eulen viel mehr, oft nur minimale, Flügelbewegungen als erwartet. „Der Vogel stellt manchmal eine einzige Feder auf und kann so durch die veränderten Luftströmungen seinen Flug sehr fein steuern. Wir werden sicherlich noch mindestens zehn Jahre brauchen, bis wir den Vogelflug wirklich verstanden haben.“   

Dr. Uwe Westphal, Tierwelt 26, 1. Juli 2011

 

zurück